Remember Mahmud Azhar!
Vor 32 Jahren, am 07. Januar 1990 wurde der in Pakistan geborene FU-Student Opfer eines gewaltsamen, rassistischen Übergriffs auf dem Campus der FU. Er verstarb zwei Monate später am 05. März 1990 an den unmittelbaren Folgen seiner erlittenen Verletzungen.
Mahmud Azhar war seit Mitte der 1970er Jahre Promotionsstudent und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Biochemie der FU Berlin, das 1990 noch in einem Gebäude am Ostpreußendamm 111 in Berlin Lichterfelde untergebracht war. Zum Zeitpunkt seines Todes war er 40 Jahre alt und hätte im Mai 1990 seine Promotion abgeschlossen. Am Abend des 07. Januars 1990 wurde Mahmud Azhar beim Verlassen des Instituts von dem angetrunkenen DDR-Bürger Thomas H. auf dem Parkplatz vor dem Gebäude angetroffen, rassistisch beschimpft und bedroht.
Azhar versuchte im Institutsgebäude zwei Mal vergeblich die Polizei zu rufen. Dort wurde er von dem alkoholisierten Täter niedergeschlagen und mit Teilen eines Feuerlöschers am Kopf verletzt. In einem protokollierten Gespräch mit einem Arbeitskollegen erklärte Azhar später, dass er nicht zurückgeschlagen habe, weil “der Täter ein Deutscher sei” und er gefürchtet habe,
“(...) die Polizei könne ihm (Azhar) die ganze Schuld geben und eventuell seine Ausreise veranlassen, so daß der Abschluß seiner Promotion in Gefahr geraten wäre."
Die Westberliner Polizei reagierte erst auf den dritten Notruf, den ein vorbeifahrender Taxifahrer abgesetzt hatte. Mahmud Azhar wurde ins Krankenhaus gebracht. Thomas H. wurde kurzzeitig festgenommen und nach seiner Vernehmung, bei der er sich angeblich an nichts mehr erinnern konnte, wieder freigelassen. Wie nicht anders zu erwarten setzte sich der 25-jährige Täter nach Ostberlin ab, wo er für die Westberliner Behörden nicht auffindbar war.
Noch im Krankenhaus empfing Azhar, als die Ermittlungen bereits angelaufen waren, einen Brief der Staatsanwaltschaft, die ihn darüber informierte, “daß das Verfahren zur Zeit nicht fortgesetzt werden kann, da der Aufenthalt des Beschuldigten nicht bekannt ist.” Der Brief endete mit der zynischen Bitte, “[f]alls Sie Kenntnis von seinem Aufenthalt erhalten, bitte ich um Nachricht zu der oben angegebenen Geschäftsnummer.”
Nach zwei Monaten Krankhausaufenthalt starb Mahmud Azhar in der Nacht vom 05. auf den 06. März 1990 an den unmittelbaren Folgen des auf ihn verübten rassistischen Angriffs.
Letztendlich wurde der Täter zu nur einem Jahr Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt.
“Daß Rassismus das Motiv für den Überfall sein könnte, hielt [Staatsanwalt] Wedhorn für nicht beweisbar, obwohl der Angeklagte sein Opfer mit ausländerfeindlichen Sprüchen beleidigt habe. Im Zweifel müsse für den Angeklagten entschieden werden. Eine Verurteilung wegen ‘Körperverletzung mit Todesfolge’ hielt Wedhorn für falsch, da der Tod des Opfers für den Angeklagten zur Tatzeit ‘nicht vorhersehbar’ gewesen sei. (...)
Das Gericht schloß sich in seiner Urteilsbegründung weitgehend den Ausführungen der Staatsanwaltschaft an, blieb jedoch noch unter dem Strafmaß, das der Verteidiger für seinen Mandanten vorgeschlagen hatte. Der Haftbefehl gegen den Angeklagten wurde aufgehoben.”
Der Mord wird nicht in der offiziellen Statistik der BRD zu rechten Morden erfasst (Statistik beginnt am 3.10.1990). Nur in manchen Statistiken kommt Mahmud Azhar als Todesopfer eines rechten Angriffs mit der Ziffer 0 vor.
Auf Initiative von Azhars Kolleg_innen im Institut für Biochemie entstand ein Nachruf, der in der Info-Zeitschrift der Universität, dem fu info, abgedruckt wurde. Dabei beließ man es.
Das Aktionskomitee Mahmud Azhar sah sich bald gezwungen das Präsidium der FU dafür zu kritisieren, dass darüberhinaus nie ein Nachruf in den Berliner Tageszeitungen veröffentlicht wurde, der eine breitere Öffentlichkeit erreicht hätte.
Überhaupt nahm der universitäre Umgang mit dem gewaltsamen Tod Mahmud Azhars groteske Züge an. Die FU-Verwaltung verwehrte seinen Angehörigen nach dessen Tod vorerst das Sterbegeld und verschleppte die finanzielle Unterstützung für die Überführung des Leichnams nach Pakistan. Erst mehrfache Beschwerden von Institutangestellten und studentischen Initiativen konnten die FU zu einem sogenannten “unbürokratischen” Umgang bewegen.
Im Akademischen Senat (AS) der Freien Universität entwickelte sich eine lange Diskussion um die Mahntafel, die zum Gedenken an Azhar am Institut für Biochemie angebracht werden sollte. Da ein endgültiger Termin für einen Gerichtsprozess lange nicht feststand und tatsächlich erst ein dreiviertel Jahr nach Azhars Tod angesetzt wurde, verzögerten die zuständigen FU-Stellen eine Entscheidung über die Inschrift der Gedenktafel.
Da noch keine juristische Verurteilung stattgefunden hätte, argumentierte man, dass über das rassistische Tatmotiv angeblich keine Klarheit bestehen würde. Ein Verweis auf den rassistischen Hintergrund des Angriffs oder gar die Bezeichnung ‘rassistischer Mord’ hätte damit nach Einschätzung der FU-Offiziellen juristisch keinen Bestand gehabt. Dabei ging bereits aus den dem Präsidium bekannten Gedächtnisprotokollen einiger Zeug_innen hervor, unter welchen rassistischen Parolen Mahmud Azhar schließlich zusammengeschlagen wurde.
Am 15. Januar 1991 wurde schließlich die Gedenktafel für Mahmud Azhar im Institut für Biochemie im Ostpreußendamm 111 in Berlin Lichterfelde enthüllt.
Das Institut ist vor Jahren aus diesem Gebäude ausgezogen. Heute sitzt hier eine Marketingfirma. Die Gedenktafel war somit jahrelang nicht öffentlich einsehbar.
Die Tafel sollte vorletztes Jahr von der FU endlich im Rahmen einer öffentlichen Gedenkveranstaltung verlegt werden. Der Termin musste auf Grund der Pandemie aber verschoben werden.
Der Text ist zum Größtenteil übernommen aus der Out of Dahlem Nr. 15 des AStA FU.
Nachzulesen unter: https://www.astafu.de/node/269
Weiterführend mit einigen Quellen empfehlen wir folgenden Artikel: https://rechtsaussen.berlin/2018/03/mahmud-azhar-stirbt-an-den-folgen-eines-rassistischen-angriffs/