Liebe Studierende,
Am 17. Oktober 2024 wurde das Präsidium der Freien Universität Berlin von Demonstrierenden besetzt. Einige von uns im AStA (Allgemeiner Studierendenausschuss) haben die Ereignisse beobachtet und erkennen die Reaktion des Präsidiums der Freien Universität als ein weiteres Versäumnis, die Komplexität der Ereignisse angemessen darzustellen. Während wir Gewalt ablehnen, sind wir auch besorgt darüber, dass diese Darstellung instrumentalisiert werden könnte, um weitere repressive Maßnahmen gegen Studierendenproteste zu rechtfertigen, die den Status quo infrage stellen. Dies war auch in der Vergangenheit bei legitimen Protesten der Fall. Daher möchten wir unsere Perspektive teilen, die auf unseren Beobachtungen, Analysen und Gesprächen mit anderen Studierenden und Mitarbeitenden vor Ort basiert.
Unsere Beobachtungen der Ereignisse
Am 17. Oktober 2024, um 13:00 Uhr, befanden wir uns vor dem Präsidium und wurden Zeug:innen einer Besetzung. Das erste, was wir sahen, war ein großes Banner, das aus einem Fenster hing und verkündete: „WENN COPS DAS GEBÄUDE BETRETEN, WIRD DIE TECHNIK ZERSTÖRT.“ Außerdem hörten wir Stimmen, die dazu aufriefen, das Gebäude zu verlassen. Einige Mitarbeitende versammelten sich vor dem Gebäude. Eine Person von ihnen war aufgebracht und drohte anwesenden Studierenden, darunter uns, mit Exmatrikulation („Wartet nur, bis ich euch exmatrikuliere“). Unter den weiteren Mitarbeitenden sahen wir zwei sichtlich aufgewühlt („Ich versuche nur, meinen Job für euch zu machen“). Insgesamt gab es ein breites Spektrum an Reaktionen. Nach wenigen Minuten traf die Polizei ein, und die Universitätsleitung erlaubte ihnen, das Gebäude zu betreten. Wir beobachteten keinen Versuch, vor dem Betreten des Gebäudes durch die Polizei um 13:15 Uhr mit den Besetzer:innen in einen Dialog zu treten. Ungefähr 20 bis 40 Besetzer:innen flohen; eine Person wurde von mindestens drei Polizist:innen brutal zu Boden geworfen, und später wurden drei weitere festgenommen, wovon eine:r eine unbeteiligte Person zu sein schien. Demo-Sanitäter:innen waren vor Ort und kümmerten sich um die von der Polizei verletzten Demonstrierenden. Wir sahen sonst keine Rettungswagen oder Sanitäter:innen.
Die Sicherheit der Mitarbeitenden
Wir verstehen, dass die Mitarbeitenden der Universität angesichts dieser beispiellosen Situation Angst hatten und überfordert waren. Es muss für die Mitarbeitenden schwierig gewesen sein, die Situation und eine potenzielle Bedrohung für sich und ihre Kolleg:innen einzuschätzen. „Politics of Care“ sind zentral für die Arbeit des AStAs. Dieser Ansatz stellt Fürsorge, wechselseitige Verantwortung und gegenseitige Abhängigkeit an unserer Universität in den Vordergrund. Deshalb nehmen wir Verletzungen von Studierenden und Mitarbeitenden sehr ernst und setzen uns für ihr Wohlergehen, ihre Rechte, ihre Würde und ihre Sicherheit ein.
Der Kontext der versuchten Besetzung
Im vergangenen Jahr haben Studierende verschiedene Formen des Protests organisiert: Sit-Ins, Die-Ins, zwei Hörsaalbesetzungen und zwei Camps, um zu fordern, dass die FU ihre Komplizenschaft im Genozid in Gaza beendet – beispielsweise durch einen akademischen Boykott und die Umsetzung einer Zivilklausel. Das Präsidium der Freien Universität Berlin hat nicht in einer sinnvollen Weise reagiert; stattdessen wurden die Studierenden, darunter auch wir, in nutzlose Gespräche verwickelt, während Aktivist:innen gleichzeitig durch laufende Hausfriedensbruchklagen eingeschüchtert wurden.
Das Präsidium der Freien Universität Berlin erinnert uns regelmäßig an die Bedeutung seiner „Dialogkultur“, aber dieses Bestehen darauf wirkt hohl, wenn sie dort, wo es dringend notwendig wäre, kein Interesse an einem echten Dialog zeigen. Auch in diesem Kontext ist die versuchte Besetzung zu sehen. Wir möchten an dieser Stelle auch betonen, wie das Präsidium versucht, unsere Stellungnahme in eine Richtung zu lenken, die ihrer eigenen Darstellung entspricht, indem sie uns daran hindern, unsere alljährliche Informations-Rundmail an alle Studierenden zu verschicken, es sei denn, wir verurteilen die Besetzung öffentlich und stellen uns auf die Seite des Präsidiums. Dies behindert direkt unsere Aufgabe, alle Studierenden über wichtige Angelegenheiten zu informieren.
Die Reaktion des Präsidiums auf die versuchte Besetzung
Die Stellungnahme des Präsidiums der Freien Universität Berlin deutet auf verschiedene Verstöße hin. Wir haben Graffiti vor dem Gebäude und an seiner Fassade gesehen. Wir haben auch mit einigen Mitarbeitenden gesprochen, um zu erfahren, ob es Fälle von Aggressionen gab. Die Mitarbeitenden, mit denen wir gesprochen haben, berichteten von keinen Fällen körperlicher Gewalt gegen sie. Dasselbe lässt sich jedoch nicht über die Besetzer:innen und die anwesenden Studierenden sagen. Von mehr als zehn Polizeiwagen umringt zu sein und Polizeigewalt miterleben zu müssen, zeigt ein weiteres Mal, wie wenig Rücksicht das Präsidium der Freien Universität auf die psychische und physische Sicherheit ihrer Studierenden nimmt.
Dies sollte nicht nur Empörung, sondern auch Besorgnis hervorrufen. Die übermäßige Polizeipräsenz auf dem Campus ist kontinuierlich zur Normalität geworden, ebenso wie mehrere Maßnahmen, die sich auf die Überwachung und Einschränkung unabhängiger studentischer Initiativen richten: private Sicherheitsdienste auf dem Campus, Anforderungen, dass von Studierenden organisierte Veranstaltungen nur in bestimmten Räumen stattfinden dürfen, und die Verpflichtung, die Namen der Redner:innen im Voraus anzugeben. Ein solches Verhalten ist eine Schande für jede akademische Institution in einem als demokratisch geltenden Land, wird jedoch auf verschiedenen Ebenen von dieser Universität aktiv verteidigt.
Wir werden die Universität jedoch an das Offensichtliche erinnern: Polizeigewalt wird die Studierendenbewegung nicht zum Schweigen bringen. Auch autoritäre Überwachung wird dies nicht erreichen, was das Präsidium derzeit ebenfalls anerkennt. Durch die Darstellung dieser Aktion als gewaltsamen Angriff, der die gesamte Universität trifft, anstatt als potenziell legitimen Protest gegen die Politik des Präsidiums, verschärfen sie ihre Rhetorik weiter. Dadurch eröffnet das Präsidium die Möglichkeit zur weiteren Kriminalisierung von Protest.
Eine solche Sprache von Alarm und Sicherheit führt nicht zu einem Gefühl von Sicherheit – im Gegenteil, sie fördert Unsicherheit und Angst sowohl bei Mitarbeitenden als auch bei Studierenden.
Wir fordern das Präsidium der Freien Universität Berlin auf: Treten Sie endlich in einen ernsthaften Dialog ein und beenden Sie diese Spirale von Gewalt und Verfolgung jetzt!
An die Studierenden: Seid wachsam und steht geeint gegen Unterdrückung.
Hochachtungsvoll,
Euer AStA
[1] Stand 28.10.2024 ist, das nicht klar ist, ob die Vermummten Studierende waren. deutschlandfunk.de/schadenssumme-nach-angriff-sechsstellig-100.html (28.10.2024)
[2] tagesschau.de/inland/regional/berlin/berlin-eindringen-praesidium-100.html (28.10.2024)