Mitgefühl, Sichtbarkeit und Solidarität für alle Betroffenen der Gewalt in Israel/Palästina!

Der AStA möchte sich mit diesem Statement zu den aktuellen Geschehnissen an der FU Berlin in Reaktion auf die weiterhin eskalierende Gewalt in Israel und Palästina äußern. Wir richten uns damit in erster Linie an alle Menschen an der Universität.

Wir sind uns darüber im Klaren, dass lange auf dieses Statement gewartet wurde und sich viele betroffene Menschen von uns und der universitären Gemeinschaft allein gelassen fühlen.  Es äußern sich gerade viele Menschen unreflektiert zu dem Thema. Das wollten wir vermeiden, und uns nicht aus dem medialen Positionierungsdruck heraus äußern. Stattdessen war es uns wichtig uns die Zeit zu nehmen, eine differenzierte Stellungnahme mit Bezug auf den Raum zu schreiben, den wir kennen: die sogenannte Freie Universität Berlin. Dennoch haben wir uns mit dieser Auseinandersetzung zu lange Zeit gelassen und dadurch versäumt, uns solidarisch mit denjenigen Studierenden zu zeigen, die aktuell von der Gewalt in Israel/Palästina betroffen sind. Es ist uns ein explizites Anliegen, solidarisch mit und als Anlaufstelle gleichermaßen offen für palästinensische, israelische, jüdische und alle anderen Betroffenen zu sein. Wir möchten uns nicht an der aktuellen gesellschaftlichen Polarisierung auf Kosten der Betroffenen beteiligen, die zu stark vermehrtem Antisemitismus und anti-palästinensischem und anti-muslimischem Rassismus führen - auch hier am Campus.

Die Angriffe der Hamas auf Israel am 7. Oktober betreffen jüdische und israelische Menschen weltweit und auch an der FU. Wir verurteilen diese grausamen Akte der Gewalt auf das Schärfste. Antisemitismus hat Kontinuität in Deutschland und findet sich in allen Gesellschaftsbereichen. Die enorme Zunahme an antisemitischen Angriffen in Deutschland [1], die wir zurzeit beobachten, tragen dazu bei, dass auch jüdische und israelische Studierende sich aktuell nicht sicher fühlen können. Wir stehen solidarisch an der Seite von allen von Antisemitismus betroffenen Menschen. 

Die aktuellen Schläge und schrecklichen Menschenrechtsverletzungen des israelischen Militärs im Gazastreifen und die Eskalation der Gewalt im Westjordanland, die den Tod von tausenden Zivilist*innen und die Flucht von Hunderttausenden zur Folge haben, betreffen ebenfalls viele Studierende an der FU. In Berlin lebt die größte palästinensische Community Europas. Aktuell sehen wir massive Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit, Meinungsfreiheit und die extreme Zunahme von Racial Profiling und Polizeigewalt zum Beispiel in Neukölln. In Deutschland nehmen anti-palästinensischer und anti-muslimischer Rassismus stark zu.  Für uns ist klar: Die daraus entstehenden autoritären Demoverbote und rassistischen Abschiebungsdebatten machen uns wütend und sind zu verurteilen.

 

Zum konkreten Geschehen an der FU:

Die Freie Universität hat am 9. Oktober das Statement „Solidarität mit unseren israelischen Partnern“ [2] veröffentlicht. Sie spricht darin den israelischen Studierenden und Forschenden an der Universität ihr Mitgefühl aus. Wir schätzen diese Initiative und alle Unterstützungsangebote für jüdische und israelische Menschen an der FU. 

Dem schließen wir uns an und sind zugleich sehr enttäuscht davon, dass die Universität ihren palästinensischen Studierenden bisher ihr Mitgefühl und ihre Solidarität versagt und sie in ihrem Statement nicht erwähnt hat. Die Universität hat sich in ihrem einseitigen Statement bisher nur zu den Angriffen in Israel geäußert und ihren palästinensischen Studierenden bisher keinerlei Unterstützungsangebote gemacht. Stattdessen wurde in einem Fall von Seiten der Universität mit dem Rufen der Polizei gedroht, als Studierende eine offene Austauschveranstaltung beworben haben, um über ihre Betroffenheit vom Geschehen in Palästina zu sprechen. 

Darüber hinaus schrieb das Präsidium in einer Mail mit dem Betreff "Umgang mit der Situation in Israel und Gaza auf dem FU-Campus" an Mitarbeitende der Universität bezugnehmend auf einen ihrer Instagram-Posts [2]: "Es zeichnet sich ein erheblicher Kommunikationsbedarf von Seiten der Studierenden mit palästinensischem Hintergrund ab. Angesichts dieses Spannungsfeldes ist es unsere primäre Aufgabe, die Sicherheit und das Wohlergehen von israelischen und jüdischen Studierenden und Kolleginnen und Kollegen auf unserem Campus zu gewährleisten."[3] Die Universitätsleitung stellt palästinensische Studierende hier in einem extrem rassistischen Narrativ als Sicherheitsbedrohung auf dem Campus dar. Auch wenn es danach heißt: "Zugleich gilt es, angemessen auf die Sorgen der palästinensischen Studierenden einzugehen"[3], lässt die Uni offen, wie eine solche "angemessene" Unterstützung aussehen soll.

Gerade eine Universität mit dem Anspruch der Diversität sollte all ihren Studierenden einen Raum zum Zusammenkommen, zum Austausch und zum Trauern bieten. Stattdessen verweigert sie diesen aktiv ihren palästinensischen Studierenden, verdächtigt sie pauschal des Antisemitismus und zeigt sich gleichgültig gegenüber dem Leid der Menschen in Gaza, Palästina und den betroffenen Studierenden auf unserem Campus. Aus diesem Grund fühlen sich viele palästinensische Studierende zurzeit auf dem Campus auch nicht sicher.  Sowohl israelische als auch palästinensische, jüdische, muslimische und alle anderen betroffenen Studierenden, die wegen der aktuellen Situation im Alltag Angst haben, sollten sich in der Universität sicher fühlen können. Unterstützung darf nicht selektiv sein.

Gleichzeitig kann es nicht sein, dass die Forderung nach Support für palästinensische Studis antisemitisch instrumentalisiert wird und die Situation vieler jüdischer Studis unberücksichtigt bleibt. Dies passierte auch auf der Demonstration vor dem Unigebäude am vergangenen Freitag. Dort wurde sich wenig Mühe gegeben, sich glaubhaft gegen Antisemitismus zu positionieren oder die antisemitischen Konsequenzen der getroffenen Aussagen für jüdische Betroffene zu berücksichtigen. So gab es unter anderem Sprechchöre mit den Worten: "Von Dahlem bis nach Gaza - Yallah Intifada!", es wurde in Redebeiträgen mit indirekten Holocaust-Vergleichen gespielt und dem Staat Israel das Existenzrecht abgesprochen. Die reale Gefahr, die für Juden*Jüdinnen auch in Berlin und an der Freien Universität besteht, wurde dabei weitestgehend ignoriert, gebilligt, wenn nicht sogar verstärkt. Denn selbst wenn etwas nicht "so gemeint" ist, hebt das nicht die Verantwortung für die in diesem Falle auftretenden antisemitischen Konsequenzen auf. Wer sich nicht aktiv Mühe gibt, antisemitische Narrative, antisemitische Kontinuitäten und die Konsequenzen der eigenen Wortwahl oder Taten zu bedenken, versäumt sich dagegen zu positionieren, ignoriert Antisemitismus und praktiziert ihn bewusst oder unbewusst.

Palästinasolidarität, welche die Befreiung Palästinas nur durch die Zerstörung Israels  für möglich hält, führt eben auch zu offen praktiziertem Judenhass bzw. Antisemitismus - wie wir in den letzten Wochen auch in Deutschland sehen mussten.  Palästinensisches Leid zu benennen und dagegen zu demonstrieren ist nicht per se antisemitisch und Kritik an der einseitigen Positionierung der sogenannten Freien Universität ist unbedingt notwendig. Es ist uns in diesem Zusammenhang wichtig zu betonen, dass nicht alle Teilnehmer*innen dieser Kundgebung hinter den dort geäußerten antisemitischen Aussagen stehen. Es geht darum, die Gleichzeitigkeit von wichtigen palästinensischen Anliegen sowie die rassistische Hetze gegen diese und die Notwendigkeit der Verurteilung von Antisemitismus in diesem Kontext zu benennen.

Wir sind solidarisch mit palästinensischen, israelischen, jüdischen und allen anderen Betroffenen und stehen allen gleichermaßen als Anlaufstelle offen. 

2022, zu Beginn des Krieges in der Ukraine hat die FU gezeigt, dass sie durchaus in der Lage ist, betroffenen Studierenden Unterstützung zu bieten, zum Beispiel in Form von Fristverlängerungen. Auch jetzt sollte die Universität diese Maßnahmen für alle Studierenden ergreifen, die von der aktuellen Gewalt betroffen sind. Das bedeutet nicht nur israelische und palästinensische Studierende, sondern auch andere Studierende, die von den Geschehnissen in der Region betroffen sind und sich nicht in der Lage fühlen, ihren Studienalltag einfach fortzusetzen. 

Wir wollen einen Raum schaffen, in dem ein Umgang mit diesem Leid möglich ist, der die Einen nicht gegen die Anderen ausspielt. 

Wir rufen alle dazu auf, klare Zeichen gegen Antisemitismus und Rassismus zu setzen. Vor diesem Hintergrund fordern wir von der Universität: 

 

  • Das einseitige Statement der FU muss geändert werden. Die FU muss all ihren Studierenden ihre Solidarität aussprechen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Solidaritäts-Statement des Leibniz Zentrums Moderner Orient [4]. Der Instagram-Post mit der einseitigen Solidarisierung mit den israelischen Mitgliedern der Universität muss entfernt werden. Die einseitige Solidarisierung zeigt den palästinensischen Studierenden, dass die FU keine sichere Anlaufstelle für sie ist. 
  • Die FU muss die Sicherheit für israelische, jüdische, palästinensische und alle anderen von der Gewalteskalation betroffenen Studierenden gewährleisten.
  • Prüfungsfristen müssen verlängert und Anwesenheitspflichten ausgesetzt werden. Für die Dauer des Krieges müssen für betroffene Studierende Ausnahmeregelungen geschaffen werden. 
  • Keine selektive Solidarität. Die FU muss ihre proaktiven Unterstützungsangebote für ihre israelischen Mitglieder auf alle von der Gewalteskalation betroffenen Studierenden und Forschenden ausweiten. So wurden zum Beispiel nur israelische Studierende persönlich per Mail kontaktiert. Dadurch werden weder alle jüdischen noch palästinensische Studierende unterstützt.
  • Unabhängige psychologische Unterstützungsangebote. Diese müssen allen offenstehen und für die unterschiedlichen Betroffenheiten der Studierenden sensibilisiert sein.
  • Keine Kriminalisierung und kein Silencing von Betroffenen. Die Uni muss gewährleisten, dass alle von der Gewalt betroffenen Studierenden Räume des Austausches und der Trauer offenstehen. Es ist skandalös, wie sie in mehreren Fällen versucht hat, Veranstaltungen zu behindern, nur weil diese Palästina thematisieren. Sie muss außerdem aktiv gegen rassistische Pauschalisierungen gegenüber palästinensischen, muslimischen und muslimisch gelesenen Menschen vorgehen.
  • Gegen anti-palästinensischen Rassismus und Islamfeindlichkeit auf dem Campus. 
  • Gegen Antisemitismus auf dem Campus. Die Freie Universität muss angesichts des aktuell erstarkenden Antisemitismus, Maßnahmen in Form von Sensibilisierung zu dem Thema und Support für ihre jüdischen Mitglieder ergreifen. Jüdisches Leben sollte sicher und sichtbar sein können.
  • Über die Gewalt und die Menschenrechtsverbrechen informieren. Die Universität muss ihrer gesellschaftlichen Verantwortung als Ort der Wissensbildung gerecht werden. Sie muss Lernräume und faktenbasiertes Material zur aktuellen Lage in Israel/Palästina und dem politischen Kontext in der gesamten Region zur Verfügung stellen. Was wir zurzeit sehen, ist dass die Universität Austauschräume zur aktuellen Gewalt in Israel/Palästina aktiv verhindern zu wollen scheint.

 

Quellen:

1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1177113.antisemitismus-brandanschlag-auf-synagoge-in-berlin-die-schlaege-ruecken-naeher.html?sstr=synagoge 

2. https://www.instagram.com/p/CyLzstQIF3n/

3. Die E-Mail richtete sich an Mitarbeitende der sog. Freien Universität und wurde uns anonym zugespielt.

4. Solidaritäts-Statement des Leibniz Zentrums Moderner Orient: https://www.zmo.de/fileadmin/Slider_Startseite/Solidarity_statement_Israel_and_Palestine.pdf