Ausführliche Stellungnahme des AStA FU bezüglich der polizeilichen Räumung des Protestcamps an der FU am 7.5.2024

Am 7.5. wurde ein Protestcamp von palästinasolidarischen Gruppen an der FU durch die Polizei geräumt. Wir haben in den letzten Tagen zahlreiche Gespräche geführt, um zu rekonstruieren, was an diesem Tag genau passiert ist und welche Konsequenzen unserer Meinung nach daraus folgen müssen.

Für uns ergibt sich ein alarmierendes Bild. So berichtet ein Augenzeuge, der sich während der Räumung im Universitätsgebäude aufhielt: "Ich habe gesehen, wie die Polizei in der Silberlaube einer Person hinterhergelaufen ist, diese anschließend in einen Seminarraum drängte und dort zu Boden warf. Ich habe auch mitbekommen, wie Studierende, die völlig unbeteiligt im Gebäude standen, durch die Polizei geschlagen, weggedrängt, zu Boden gedrückt und im Gesicht angefasst wurden." Medienberichte zeugen ebenfalls von der Anwendung brutaler körperlicher Gewalt durch die Polizei. [1]

Eine andere Person berichtet vom Einsatz von Pfefferspray – gegen Protestierende und gegen Studierende, die nicht Teil der Besetzung waren. Auch innerhalb des Universitätsgebäudes wurde demzufolge Pfefferspray eingesetzt. Diese Information wurde uns von unterschiedlichen Personen mehrfach bestätigt. Es haben sich auch Studierende an uns gewandt, die noch Tage später unter den Folgen des Pfeffersprays litten. Mehrere Personen benötigten aufgrund der Polizeigewalt medizinische Hilfe.

Günter M. Ziegler, Präsident der sogenannten Freien Universität, hat in einem Interview mit dem rbb [2] direkt nach der Räumung die Universität als "Ort für Dialog und Austausch" bezeichnet und dennoch bisher nicht für Möglichkeiten gesorgt, für die Studierenden und die Mitarbeitenden der Universität einen solchen Raum zu schaffen. Durch den Austausch mit jüdischen und propalästinensischen Aktivist*innen, die sich sowohl an uns als auch an das Präsidium gewandt haben und diese Räume fordern, wissen wir, dass das Präsidium sich nicht dafür zuständig sieht. Auch ein "wissenschaftlicher Dialog nach unseren Werten" (im rbb Interview) ist seit dem Angriff der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung am 7. Oktober 2023, nicht in die Wege geleitet worden. 

Am 10.5. hat das Präsidium der sogenannten Freien Universität auf Instagram bekannt gegeben, dass das Protestcamp wegen "Gefährdung der Sicherheit"[3] geräumt worden sei. Wir fragen uns, inwiefern der Polizeieinsatz für Sicherheit gesorgt haben soll. Polizeitrupps haben Studierende geschlagen, getreten, durch die Gänge gejagt, in Innenräumen Pfefferspray eingesetzt, unbeteiligte Personen gegriffen und zu Boden geworfen und hunderte Studierende teils gewaltvoll aus dem Gebäude gedrängt. Von Seiten der Universität wurde mit Hausverboten gedroht, wenn Studierende, Mitarbeitende und Dozierende das Gebäude nicht verlassen würden. 

Dieser Polizeieinsatz war nicht verhältnismäßig. Ein solches Vorgehen bietet niemandem Sicherheit und ist nicht zu rechtfertigen. Bei uns haben sich zahlreiche Studierende gemeldet, die durch die Polizei körperlich verletzt, gefährdet und massiv verängstigt wurden. Ein Gesprächsangebot des Präsidiums an diese Menschen gab es bis heute nicht. Das ist alarmierend!

In ihrem Statement [4] konstruiert die Universitätsleitung eine Gefährdung der Sicherheit durch das Protestcamp, die bereits von Anfang an zu erkennen gewesen sei, und nennt dabei Sachbeschädigung und die Zerstörung von Brandmeldeanlagen als einen vermeintlichen Grund für die Räumung.[5] Hier wird im Nachhinein eine Gefährdung konstruiert, die in der Reihenfolge so nicht stattgefunden hat: die Zerstörung einiger Brandmeldeanlagen und die Auslösung des Feueralarms hat erst nach Anordnung der Räumung stattgefunden, nicht davor, und kann so kein Anlass der Räumung gewesen sein. Die Universitätsleitung verdreht also die Tatsachen, um das eigene Vorgehen rückwirkend zu rechtfertigen. Das lassen wir nicht zu und bekräftigen an dieser Stelle, dass wir das Präsidium für die Polizeibrutalität und Gefährdung der Universitätsmitglieder verantwortlich machen. 

Wir sehen die Räumung in Kontinuität mit dem extremen Rechtsruck, der sich jüngst beispielsweise auch in der drohenden Verschärfung des Hochschulgesetzes und der Wiedereinführung des Ordnungsrechtes gezeigt hat. [6] Die pauschale Verurteilung jeglichen palästinasolidarischen Protests ist diskriminierend und die Polizei geht nach rassistischen Kriterien vor. Die aktuelle Hetzkampagne der Springer-Presse gegen kritische Stimmen nimmt erschreckende Ausmaße an. Wenn die Universitätsleitung nicht klar Stellung bezieht, macht sie sich zu Kompliz*innen der reaktionären und rechtsextremen Kräfte, die jeglichen Protest und jede emanzipatorische Bewegung unterdrücken wollen. Dieses Präsidium muss Verantwortung übernehmen und zurücktreten! 

Wir haben bereits in unserem ersten Statement [7] bekanntgegeben, dass wir die Räumung unabhängig von den einzelnen Forderungen der Besetzer*innen verurteilen. Diese Forderungen enthalten auch Passagen, denen wir uns inhaltlich explizit nicht anschließen. Beispielsweise findet sich dort die Forderung nach einem "Vollständigen kulturellen und akademischen Boykott Israels". Ein solcher Boykott würde auch alle kritischen, linken und emanzipatorischen Stimmen in der Wissenschaft und Kulturbranche Israels einschließen. Seit vielen Monaten wird auch in der israelischen Zivilbevölkerung heftige Kritik an der Regierung und ihrem Vorgehen im Gazastreifen geäußert. Diese Stimmen müssen gehört werden, genau wie alle palästinensischen und palästinasolidarischen Stimmen, die sich gegen die Unterdrückung und Gefährdung der palästinensischen Bevölkerung, gegen die aktuelle Militäroffensive der israelischen Armee und für ein Ende des Krieges einsetzen.

Es ist uns bewusst, dass einige Aussagen, die im Rahmen der Besetzung getroffen wurden, als antisemitisch und als Aufrufe zu Gewalt wahrgenommen werden. [8] Ein Beispiel dafür ist der Ausruf "join the worldwide Student Intifada". Auch wenn das Wort „Intifada“ im Arabischen einfach mit „Aufstand“ oder „sich erheben“ übersetzt werden kann, führt der historische Kontext des Begriffes dazu, dass insbesondere viele jüdische Menschen es als einen Aufruf zur Gewalt gegen Juden und Jüdinnen verstehen und diese Worte in einer antisemitischen Tradition sehen. Auf diskriminierende und gewaltvolle Aussagen muss reagiert werden. Dies kann jedoch nicht über Repression und Räumung erfolgen, sondern über Austausch und Dialog - auch mit den Protestierenden. Obwohl konstruktiver Dialog in einer so extrem polarisierten Debatte beinahe unmöglich ist, macht polizeiliche Intervention ihn komplett zunichte.

Uns ist wichtig, zwischen der Protestform und den getroffenen problematischen Aussagen zu unterscheiden. Die Protestform war, wie wir in einem früheren Statement geschrieben hatten und wie es auch die Dozierenden im Offenen Brief feststellen, friedlich. Die Besetzung von Unigelände zählt schon seit vielen Jahrzehnten zu Mitteln des studentischen friedlichen Protests und ist eine Protestform, die von der Universität ausgehalten werden sollte. Diese Protestform stellt nicht per se eine Gefährdung der Sicherheit dar und rechtfertigt somit in keiner Weise eine Räumung, erst recht nicht in einer derart brutalen Art und Weise. Wir stehen daher solidarisch an der Seite aller, die am 7.5. an der FU Polizeigewalt und Repression erfahren haben.

Wir erwarten von einer Universitätsleitung, dass sie nachhaltig und konsequent gegen Antisemitismus vorgeht. Stattdessen beobachten wir allerdings, dass im Umgang mit dem Thema auf ständige Repression, Einschüchterung und Exmatrikulation gesetzt wird, statt auf Prävention, Thematisierung, Debatte und Dialog.

Wir setzen alles daran, diesen Dialog zu ermöglichen. Daher haben wir in unserem ersten Statement angeboten, dass sich Menschen mit ihren Anliegen an uns wenden können und bieten kostenlos Rechtsberatungen und Support bei Fällen von Diskriminierung an. Wir haben zudem bereits am Tag nach der Räumung eine Veranstaltung mit dem ehemaligen FU-Dozenten Daniel Heinz organisiert, bei der die Geschehnisse eingeordnet wurden und diskutiert werden konnten. Über 70 Studierende haben sich daran beteiligt, die Diskussion verlief insgesamt konstruktiv. Wir wollen in den kommenden Tagen weitere Angebote zum Austausch schaffen und setzen uns auch für einen kritischen wissenschaftlichen Diskurs zu dem Thema ein und wollen Antisemitismus keinen Raum bieten. Unsere inhaltliche Positionierung zum Krieg in Gaza und Israel, zum erstarkenden Antisemitismus und zu rassistisch motivierter Polizeigewalt haben wir seit dem Terrorangriff der Hamas vom 7.10. bereits in mehreren Statements ausführlich deutlich gemacht. [9]

Neben zahlreichen studentischen Gruppen wandten sich mittlerweile auch über 1000 (Stand 15.05.) [10] Dozierende in einem offenen Brief an das Präsidium und kritisierten die Räumung und das brutale Vorgehen der Polizei. [11] Wir schließen uns diesem Brief an. Die Universitätsleitung positionierte sich nach der Räumung des Protestcamps 10.5. auf Instagram und kündigte an, den Brief der Dozierenden "sehr ernst" zu nehmen. [4] Politiker*innen von FDP, CDU sowie die Blätter der Springerpresse B.Z. und BILD nahmen dies zum Anlass, Falschinformationen zu verbreiten, den Dozierenden "fassungslos" die Grundgesetzlichkeit abzuerkennen [12] und sie als antisemitisch zu diffamieren.

Auf andere kritische Stimmen wurde durch die Universitätsleitung bisher in keiner Weise eingegangen, trotz zahlreicher Statements durch Fachschaftsinitiativen, studentischer Gruppen und Studierendenvertreter*innen. Studierende werden im Diskurs wieder einmal ignoriert und nicht zum Gespräch gebeten. Die Universitätsleitung hat bisher auch keinerlei Angebote für Studierende gemacht, die Gewalt erfahren haben. Ein solches Vorgehen ist vollkommen inakzeptabel und skandalös. Wir fordern, dass der offene Brief der Dozierenden tatsächlich ernst genommen wird, genau wie die kritischen Stimmen aus der Studierendenschaft. Aus unserer Sicht würde das bedeuten:

  • einzugestehen, dass der Polizeieinsatz am Dienstag ein massiver Fehler war, der die Sicherheit der Studierenden und Dozierenden der Universität gefährdet hat, und nicht auf Instagram eine vermeintliche Sicherheitsgefährdung durch die Protestierenden zu konstruieren
  • Allen Studierenden, die wegen der Räumung keine Lehrveranstaltungen besuchen konnten, die Anwesenheitspflicht für diesen Tag zu erlassen
  • die Studierenden, die Gewalt durch die Polizei ausgesetzt waren, mit allen Mitteln zu unterstützen
  • Polizeieinsätze gegen Studierende auf dem Campus künftig zu unterlassen
  • von jeglicher Strafverfolgung der Protestierenden abzusehen
  • einen Dialog und offene Räume zum Austausch und zu Auseinandersetzungen zu schaffen
  • nachhaltig, konsequent und präventiv gegen Antisemitismus, Rassismus und jede andere Diskriminierung vorzugehen und sich auch öffentlich gegen das rassistische Vorgehen der Polizei zu positionieren
  • sich hinter die Dozierenden, Studierenden und anderen Universitätsmitglieder und gegen die Hetzkampagne in BILD und B.Z. zu stellen

Wir bieten nach wie vor Studierenden und Studierendengruppen an, sich mit ihren Berichten und Anliegen zum Protestcamp und zur Räumung an uns zu wenden. Studierende können sich außerdem noch zu einem von uns organisierten Workshop mit dem Politikwissenschaftler Daniel Heinz anmelden, der am 18. und 20. Mai stattfindet und sich mit Antisemitismus und Rassismus an deutschen Hochschulen beschäftigt.

Wir arbeiten außerdem an weiteren Formaten, den Austausch über den Krieg in Palästina, den Überfall der Hamas sowie den ansteigenden Rassismus und Antisemitismus seit dem 7. Oktober zu ermöglichen. Studierende und Dozierende, die sich an der Organisation solcher Formate beteiligen wollen, laden wir dazu ein, sich bei uns zu melden.

 

[1] Video des Guardian zu Polizeigewalt und Pfefferspray: https://youtu.be/9Txy6MnoEDE?si=YaEDaD0edhW5Q1UF

[2] FN RBB: https://youtu.be/SrrOmmz9b0Y?si=z45YjiK2hwo-8sVw

[3] https://astafu.de/sites/default/files/2024-05/Screenshot_20240510-161040_Instagram.jpghttps://astafu.de/sites/default/files/2024-05/Screenshot_20240510-161037_Instagram.jpg

[4] Besetzung und Räumung des Theaterhofs am 7. Mai 2024 / Offener Brief Berliner Hochschullehrender, Präsidium FU (13. Mai 2024): https://www.fu-berlin.de/campusleben/campus/2024/240513-faq-besetzung/index.html

[5] https://astafu.de/sites/default/files/2024-05/Screenshot_20240510-161037_Instagram.jpg

[6] Siehe hierzu das Statement des RefRat HU (12. März 2024): http://refrat.de/article/stellungnahme-berlhg-novelle-ordnungsrecht.html

[7] Statement bezüglich der Räumung und Polizeigewalt am 7.5.2024, AStA FU (7.5.2024): https://astafu.de/node/602

[8] Vergleiche hierzu die Berichte von FURIOS (9. Mai 2024): https://furios-campus.de/2024/05/09/warum-mit-studis-reden-wenn-man-sie-auch-raeumen-kann/; sowie die Statements von Studierenden-Gruppen

[9] Mitgefühl, Sichtbarkeit und Solidarität für alle Betroffenen der Gewalt in Israel/Palästina! (7. November 2023): https://astafu.de/node/582 Brutaler antisemitischer Angriff - Solidarität mit unserem jüdischen Kommilitonen der FU Berlin (5. Februar 2024): https://astafu.de/node/589 Kundgebung gegen Antisemitismus (13. Februar 2024): https://astafu.de/node/592 Stellungnahme zur Besetzung des Hörsaals 1a am 14. Dezember 2023 (15. Februar 2024) https://astafu.de/node/593

[10] https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/das-umstrittene-statement-von-lehrenden-an-berliner-universitaeten-li.2213892

[11] Statement von Lehrenden Berliner Universitäten (8. Mai 2024): https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSfVy2D5Xy_DMiaMx2TsE7YediR6qifxoLDP1zIjKzEl9t1LWw/viewform

[12] Besetzungen von Hochschulen: Streit um Palästina-Proteste (9. Mai 2024): https://taz.de/Besetzungen-von-Hochschulen/!6006389/